Die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur GMK lud zur diesjährigen Jahrestagung nach Bielefeld ein. Es sollte eine «Medienpädagogik der Generationen» diskutiert werden. Gesehen und vor allem gehört haben wir eine Vielzahl von Ideen und einige konkrete medienpädagogische Projekte. Die junge Generation haben wir eher hinter der Kamera, die Senioren durchwegs vor der Kamera gesehen. Und wir haben erfahren, dass der unterschiedliche Umgang von Jung und Alt mit Medien manchmal gar nicht so viel mit der Generation zu tun hat.

Jede Generation ihre Kernkompetenz
Am Samstag eröffnet Lothar Mikos (Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf, Potsdam-Babelsberg) mit einem Impulsreferat zum Thema «Mediengenerationen, Mediennutzung und Medienkompetenz». Kein besonders reisserischer Titel. Mikos präsentiert in schneller Folge die Generationen seit der Nachkriegszeit: Die Print-Generation und die Radio-Generation (bis 1955 geboren), die Fernseh-Generation (zwischen 1955 und 1970 geboren), die Computer-Generation, Handy-Generation etc. Dass jede Generation ihr eigenes Nutzungsmuster hat, das beobachten wir täglich. Eindrücklich dann, wie Mikros herleitet: Man ist in der Jugend mit einem Medium sozialisiert und mit diesem Medium bildet man spezifische Kompetenzen aus:

  • Print-Generation: Schrift, linear.
  • Fernsehgeneration: visuell, non-linear, polysem und uneindeutig.
  • Computer-Generation: Simultanität von linear und non-linear, Bild und Text, spielerisch.
  • Mobil-Generation: Multitasking, Spontaneität (spontane Terminvereinbarung)

Mikros plädiert in der Folge für kommunikativen Austausch zwischen den Generationen, fordert Anerkennung unterschiedlicher kognitiver und sozialer Kompetenzen. Man kann nicht sagen, eine ist «besser» als die andere. Und wir sind mitten im Thema der Medienpädagogik für alle Generationen.

Agieren oder Reagieren?
Michael Jäckel präsentiert ein weiteres Impulsreferat zu: «Kann man die Mediengesellschaft des 21. Jahrhunderts bereits sehen?» Er zitiert Maryanne Wolf: «Ich erkannte, dass ich noch das alte klassische Gehirn bin und meine Kinder schon digitale Gehirne besitzen. Es ist wie ein Generationenbruch, eine Art Fremdheit.» Jäckel bedient sich einmal mehr der Stereotypen Digital Natives und Digital Immigrants, bleibt dort aber nicht stehen: Der unterschiedliche Umgang mit Medien könnte nicht mehr einseitig auf eine Generationenfrage reduziert werden und ergänzt dann geschickt um eine neue Gruppe, die sich zügig entwickelt:

  • Digital Natives übernehmen Neues offen und neugierig. Agieren kommt vor Reagieren.
  • Digital Immigrants: eine Sammelbezeichnung für eine skeptische Generation; vergleichen das Neue häufiger mit dem Alten, folgen mittelfristig dem Alten immer seltener. Reagieren kommt vor Agieren.
  • Eine neue Gruppe von Menschen. Kann mit «People formerly known as Audicence» umschrieben werden. Ein Wechselspiel zwischen Agieren und Reagieren.

Videoprojekte eher *mit* als von Senioren
Zwischen den plenaren Panels dann Workshops. Ich konzentrierte mich auf Themen rund um Videoarbeit mit Kindern, Jugendlichen mit mehr oder weniger aktivem Einbezug der älteren Generation. So präsentierte Andreas von Hören, der Gründer und Geschäftsführer des Medienprojektes Wuppertal Videoproduktionen, wo Jugendliche die Regie, Kamera und die Tonangel führen. Die bearbeiteten Themen beeindrucken: Demenz (Film «Viele Abschiede») und Tod im Altenheim (Film «Schön war die Zeit»). Wir sind berührt und beeindruckt vom Ergebnis. Den Schnitt der entstandenen Dokumentarfilme haben aber Schnittprofis übernommen. Aus gestalterisch-ästherischer Sicht überzeugen die Produkte, die «schwierigen» Themen, welche das Projekt mit den Jugendlichen bearbeitet ebenso.

Überaus beeindruckend auch das Videoprojekt von Tanja Schmidt aus Berlin: Sie hat mir Kindern der Grundschule einen fiktionalen Kurzfilm gedreht (Film «Neues von der weißen Frau». Die Geschichte basiert auf einer Legende, das Drehbuch haben die Schüler/innen unter ihrer Leitung in einem einwöchigen Workshop erstellt und Kamera etc. übernahmen auch die Kinder. In diesem Projekt spielen die Seniorinnen und Senioren eine überaus aktive Rolle – vor der Kamera: Echt rührend, wie sich die Alten mit den jugendlichen Schauspielern gemeinsam in Szene setzen. Da findet echte Begegnung zwischen Jung und Alt statt. Ein ungezwungener Umgang, der berührt.
Weiter auch ein Kunstprojekt von Kain Karawahn (Berlin). Er liess Schülerinnen und Schüler einer 9. Klasse Interviews mit Senioren über ihre ersten Erfahrungen mit dem Element Feuer machen.

Bernd Schorb soll zur Frage des aktiven Einbezugs von Senioren  mal gesagt haben: «Intergenerative Medienprojekte sind es dann, wenn im Videofilm im Hintergrund irgendwo ein Senior durchspaziert.» … Die präsentierten Projekte beschränkten sich denn alle darauf, die Senioren mehr oder weniger aktiv in die Medienarbeit einzubeziehen. Und das taten einige in durchaus überzeugender Weise. Trotzdem fehlten mir Medienprojekte mit Senioren, welche über die obligaten Computereinführungskurse für Senioren ausgehen. – Mich juckt’s in den Fingern. Gerne hätte ich den deutschen Kolleginnen und Kollegen von den Weiterbildungsanlässen und Workshops für Senioren erzählt, welche wir für die SRG Zürich Schaffhausen durchgeführt haben – ich berichtete in Blogbeiträgen hier und hier darüber – bin aber nicht sicher, ob der experimentelle, erfahrungsorientierte Fokus unserer Seniorenangebote überzeugt hätten, bin aber überzeugt, dass solche Angebote bezüglich Erwerb von Medienkompetenz den Alten dienen.

Deutungen aus soziologischer Sicht
Am Sonntag Vormittag dann zwei abschliessende Feuerwerke von Jürgen Ertelt und Franz-Josef Röll zu digitalen und medienpädagogischen Trends. Überaus faszinierende digitale Phänomene, spannend erzählt, doch insgesamt eher mehr vom Gleichen – je nach Vorwissen mehr oder weniger Bekanntes. Bemerkenswert die auffallend vielen Beispiele, wo die Bevölkerung digitale Medien zur Partizipation an politischen Prozessen einsetzt, Beispiele, wie mobile Geräte genutzt werden um Fernsehen zu machen: www.fluegel.tv, beispielsweise zum Bahnhof «Stuttgart 21». Ein Grossteil der Bürgerinnen und Bürger hätten das Bedürfnis, digital mehr partizipieren zu können. Web 2.0 also als «Belebung der Demokratie»? …

Für die abschliessende plenare Diskussion blieb wenig Zeit. All das Gehörte würde Verdichtung benötigen. Ich hatte den Eindruck, dass die sonst sehr ergiebigen plenaren Diskussionen im GMK-Forum dieses Jahr weniger intensiv geführt worden sind. So wurde die abschliessend gestellte Frage «Wer braucht welche Qualifikationen, um die neuen Technologien zu beherrschen» nur ansatzweise diskutiert. Die einen lamentieren: «Die tollen neuen Sachen sind in der Praxis gar nicht angekommen.» Röll fordert: «Es ist ganz einfach. Wir brauchen ein neues Schulsystem.» Und andere diskutieren, ob denn ein Medienführerschein ein taugliches Mittel zum Erwerben von Medienkompetenz wäre.

Insgesamt fällt in dieser Auseinandersetzung und auch in persönlichen Gesprächen auf, wie Deutungen der aktuellen Medienphänomene gerne und ausgiebig aus soziologischer Sicht diskutiert werden. Mit konkreten Medienprojekten angesetzt wird dann fast ausschliesslich in der ausserschulischen Medienarbeit. Diese ist in Deutschland bekanntlich sehr stark und gut aufgestellt, die schulische Medienbildung dagegen scheint in Deutschland eher schleppend etabliert zu werden. Ein Kollege meinte beim Schlummertrunk gar, man könne mit der schulischen Medienbildung in Deutschland eigentlich «nicht gross rechnen» (!), die Lehrpläne seien überfüllt, die Lehrpersonen hätten keine Zeit. Dagegen mache ich in der Schweiz etwas andere Erfahrungen: zaghaft, aber doch sichtbar zunehmend etabliert sich die Medienbildung in den Schweizer Schulen. Schweizer Konzepte der schulischen Medienbildung gibt es einige. So bewährt sich eine «lehrmittelgesteuerte» Medienbildung zusehends, siehe Lehrmittel Medienkompass. Sind diese Konzepte in Deutschland bekannt?

Und von vielen beeindruckenden Medienprojekten haben wir wiederum an der Verleihung des diesjährigen Dieter-Baacke-Preises erfahren. Sind diese tollen Konzepte im Gegenzug in der Schweiz bekannt? Mehr Austausch wäre wünschenswert. Berichtet wird über beides wohl genügend, in digitaler Form und in Printform. Aber um vernommen zu werden, ist persönlicher Austausch notwendig.  Ob die frisch gegründete GMK Schweiz eine Brücke zum Austausch werden kann? «On verra bien», sagt der Franzose…