Das Schweizer Radio DRS lud zum 7. Radiosymposium ein. «Aufmerksamkeit um jeden Preis. Wie der Kampf um Aufmerksamkeit den Journalismus verändert.» – Die Tagung wurde ihrem Titel mehr als gerecht, und so umsichtig orchestriert habe ich selten eine erlebt: Von der trockenen Hochschulvorlesung zum Einstieg (man ist noch frisch) über den quirligen Jungprofessor (Web 2.0-Bandwürmer) und eine nicht enden wollende Präsentation der «Tussi-Presse». Dann ein wie immer messerscharf argumentierender Kurt Imhof (eher pessimistisch, hähähä) und ein nachdenklicher Alt-Regierungssprecher. Schliesslich ein fulminant auftretender Stephan Klapproth,  sich herrlich unterhaltsam selbst inszenierend: Jeder buhlte mit seinem Können um Aufmerksamkeit. Selten habe ich mich so gut amüsiert an einer Tagung und selten hat mich eine so nachdenklich gestimmt.

Den Anfang macht Wilfried Schulz Prof. Dr. Winfried Schulz (Universität Erlangen-Nürnberg). Eine Art Einführung in kommunikationswissenschaftliche und journalistische Grundlagen. Wir erfahren, wie Nachrichtenfaktoren und Nachrichtenwert den Journalismus leiten sollten und wie dies «Agenda Setting» und die «Stereotypen» des Journalisten schlussendlich tun. Was bleibt: Der Universitätsprofessor zitiert Grimms Wörterbuch: «Eine Nachricht ist eine „Mitteilung zum danach Richten“». Und handlungsleitend sind wohl herzlich wenige News, die wir täglich konsumieren…

Dr. Steffen Burkhardt (Uni Hamburg) spricht darüber, wie die Netz-Welt die Welt des Journalismus verändert. Aufmerksamkeit erhält vor allem sein Word Bashing: Provokativ wirft er den Zuhörerinnen und Zuhörern Bandwürmer von Web 2.0-Begriffen an den Kopf. Die Aufmerksamkeit werde künftig im Social Web entschieden. Der Journalismus führe den Kampf um Aufmerksamkeit gegen das Social Web und wenn er einigermassen mithalten wolle, müsse er das Social Web nutzen. Ein junger Radiomacher bittet Burkhardt um ganz konkrete Tipps, wie man das denn machen soll: «Hauen Sie Ihre Informationen auf Twitter, gehen Sie in Facebook und gewinnen Sie so viele Freunde, wie sie können.» – Die Lösung?

Den Vogel abgeschossen hat wohl Rainer Stadler (Medienredaktor NZZ). Er sollte referieren über: «Wie der Kampf um Aufmerksamkeit den gesellschaftlichen Diskurs beschädigt.» Geboten hat er dafür eine nicht enden wollende Präsentation von Medienberichten über die Eskapaden von Carl Hirschmann. Kurt Imhof spreche  nach ihm, da würden die Zuschauer dann den Makro-Blick erhalten, und erst noch einen negativ gefärbten. Da müsse er jetzt schon Gegensteuer geben, den «Mikro-Blick» aufsetzen…Bis zum Schluss bleibt unklar, ob Rainer Stadler wirklich so schlecht vorbereitet war, wie er wirkte oder ob die Zuschauer soeben einer grossen Inszenierung aufgesessen sind.

Den Ball nimmt Kurt Imhof (IPMZ) dann gerne auf. Er sei froh, dass Rainer Stadler das kleine gemacht hat (Imhof-typisches Lachen). Und vorgesetzt erhalten die Zuhörer eine Analyse mit spitzer Feder zu «Wie der aktuelle Journalismus die Weltwahrnehmung verändert». Die Politikwahrnehmung und die Wirtschaftswarhnehmung. Oswald Sigg, früherer Bundessprecher, holt sich auf besondere Weise seine Aufmerksamkeit: In wohltuend unprätentiöser Weise plaudert er aus dem Nähkästchen und gibt bereitwillig Ausrutscher der Kommunikationsstelle des Schweizer Bunde preis. Als beispielsweise der Bundeshaussprecher gegenüber dem SDA im November 1989 über den Fall der Mauer kommentieren sollte und verlauten liess, man könne nicht über jedes beliebige Ereignis in der Welt einen Kommentar abgeben…

Dann am Nachmittag der eigentliche Showdown: Stephan Klapproth (10vor10 bei SF) betritt die Bühne: «Wie man Aufmerksamkeit auch für Sperriges und Schwieriges schaffen kann». Der Mensch sei ein «geschichtenerzählendes Tier». Also dürfe man die «Realität» in attraktive Geschichten verpacken. Personalisierung, Episodisierung, Anektotisierung seien erlaubt. Auch Kommunikation auf höchster Ebene komme nicht ohne Metaphern aus. Es kann auch einen emotionalisierenden und episodisierenden Ansatz geben, welcher die relevanten Aspekte des Themas ins Zentrum rückt. – «Doch halt. Da ruft der „Imhof in mir“!» Imhofisches Lachen. Damit hat Klapproth die Zuschauer im Sack. Und gleichzeitig beweist Klapproth, dass er ein begnadeter Geschichtenerzähler ist. Und ein guter Selbstinszenierer: Aufmerksamkeit und viele Lacher holt sich mit seinen Bildern, beispielsweise den motorradfahrenden Klapproth in den USA. Damit sei gleich bewiesen, dass Personalisierung und Emotionalisierung eben die besten Geschichtenerzähler sind…

Der Sack  wird dann in der Podiumsdiskussion verschnürt: Eine Mischung aus den Extremen «halb so schlimm, Journalisten sind Weltmeister im Jammern» und «wir wissen nicht, ob die heute 15- bis 20-Jährigen in zwanzig Jahren  bereit sein werden, Abo- und Konzesionsgebühren zu bezahlen.».

Die Präsentationen sind teilweise downloadbar.

Zum Thema: Youtube-Film über den Medienwandel

Realisiert von Studierenden der Uni Zürich am IMPZ. Mehr…