Zum Einstieg ins Weiterbildungssemester hier an der University of British Columbia (UBC) in Vancouver nehme ich am «Summer Institute» teil, einem Weiterbildungsangebot des «Centre for Teaching, Learning and Technology» (CTLT) für Dozierende, Mitarbeitende und interessierte Studierende der UBC. Gelegenheit also, in die Kultur hier an der UBC einzutauchen, mit Menschen ins Gespräch kommen, das Umfeld und die Stimmung an der Uni erleben.

Summer Institute

Blick auf das Wochenprogramm. Auffallend viele Workshops zu allgemeinen Themen guter Lehre, teils ohne vordergründigen Bezug zu medienunterstütztem Lernen und Lehren: «Student Wellbeing», «Inclusive Teaching, «Experimental Learning»… Konkrete Tools sind untergeordnet, dann meist basierend auf Canvas, dem neu eingeführten LMS (weg von Blackboard). Erster Eindruck beim Eintreten: kahler, fensterloser Seminarraum, persönliche Begrüssung durch Assistant Teacher, Kaffee und Kekse. Gruppentische, entspannte Atmosphäre. Nach kürzester Einführung geht der Ball an die Teilnehmenden. Vorerfahrungen am Gruppentisch sammeln und diskutieren. Es folgt ein hoch rhythmisiertes Programm, durchsetzt mit Aufträgen an die Teilnehmenden. Weit entfernt von deutschsprachigen Konferenzen, wo «Workshop» ein zu lang geratenes Referat mit knapper Fragerunde bedeutet. Unterrichtet wird nie alleine, oft zu dritt, unterstützt durch eine Anzahl «Assistant Teachers». Sie leiten die Gruppendiskussionen an den Tischen.

Ich befinde mich in einem interkulturellen Umfeld, mehr als die Hälfte der Teilnehmenden sind Asiaten (China, Korea, Taiwan, Indien). Kanadier aus allen Provinzen, einige aus Übersee. Bislang keine Amerikaner. Männer sind klar in der Minderheit. Alle mit hoher Bereitschaft zum Austausch. Man hört sich geduldig zu. Die teils eingeschränkten sprachlichen Fertigkeiten der Teilnehmenden scheinen nicht hinderlich zu sein («I teach Mandarin»). Interesse an der Schweizer Lehr-/Lernkultur, teils überhöhte Erwartungen («For sure it’s better in Switzerland» …). Wir vergleichen, alle kochen mit Wasser … Es fühlt sich gut an, die Perspektive des lernenden Lehrenden einzunehmen.

Inclusive Teaching and Reconsiliation

Während meiner Reise durch British Columbia stiess ich oft auf Spuren der indigenen Völker (First Nation People, Aboriginal Canadians). Indigene Kulturzentren und Quartiere, Hunderte Quadratkilometer grosse selbst verwaltete Reservate. Und ich begegnete höchst unterschiedlichen Haltungen gegenüber der indigenen Bevölkerung, das ganze Spektrum zwischen «Eine Schande, erst 2011 haben wir die indigenen Völker vollständig anerkannt, es ist Wiedergutmachung notwendig», aber auch «Wenn der Vogel kostenlos auf dem Fenstersims fressen kann, fliegt er nicht mehr aus». – Die Haltung hier an der UBC ist geprägt vom Anliegen, die Kultur der First Nation People zu integrieren.

Ich bin erstaunt, wie stark die leidvolle Geschichte der Aboriginals auf dem Campus präsent ist, und auch im Programm des Summer Institute: Workshops zu «Reconsiliation» (Wiedergutmachung) und die Aufforderung «to integrate Indigenous culture and education into the curriculum». Ein Workshop widmet sich dem «Inclusive Course Design» mit dem Ziel «to strategize ways to address place, positionality, classroom climate, and Indigenous perspectives and contexts in your teaching, classroom, or practice». Ein anderer Workshop bespricht das Thema «Exploring Reconciliation in Teaching and Learning at UBC».

Nass River bei Laxgalts’ap, einem entlegenen Dorf der indigenen Nigsa’a-Bevölkerung. Das Reservat liegt 200 km von Prince Rupert entfernt. Dort fährt eine Fähre nach Port Hardy im Norden von Vancouver Island, dann nochmals fünf Stunden Reise nach Vancouver. Eine lange Reise an die Uni …

Workshop «Support Student Wellbeing»

Der Workshop «Supporting Student Wellbeing Using Online Resources» diskutiert die Gestaltung von Lehrveranstaltungen und ihr Einfluss auf die psychische Gesundheit der Studierenden. Es soll mit einem unreflektierten Vorurteil aufgeräumt werden: «Supporting student wellbeing is often not considered as part of teaching practice.» Wir gehen der Frage nach, was der «Instructor» oder «Professor» dazu beitragen kann, damit Studierende erfolgreich lernen können. «In this session, we will refer to research about the importance of using teaching practices that support student wellbeing». Forschungsergebnisse und praktische Handlungsansätze des UBC Wellness Center. Der Befund: «Student wellbeing is supported when students are supported holistically» und «Recognizing that students have lives outside academics». Die Empfehlungen sind praktisch, teils simpel (aber wohl effektiv): «Smile», «Learn Students Name», «Sharing your passion and enthusiasm for the subject». Wir diskutieren ein Reflektionstool (PDF) zur Selbsteinschätzung des eigenen Unterrichts.
Siehe auch den Infoclip (2 min)

Die Ernsthaftigkeit der Diskussion um diese Themen beeindruckt. Dozierende aus verschiedenen Fakultäten geben Einblick in ihre Arbeitsweise. Ich erhalte Zugang auf Canvas zu einer Sammlung von didaktischen Szenarien; u.a. Formen von Peer Feedback. Peer Feedback ist oft auch Teil der Benotung der Arbeiten; es wird intensiv benotet…
Und: Es sei nicht leicht für Jugendliche der «First Nation People, sich ins universitäte Leben einzufinden, teils Hunderte Kilometer entfernt von zu Hause. Berichte vom unmenschlichen Umgang mit den Kindern der indigenen Völker. Sie wurden den Eltern weggenommen und in Heime gesteckt. Parallelen zum ähnlich grauenhaften Umgang mit Kindern von Fahrenden in der Schweiz…

Totempfahl eines indigenen Künstlers auf dem Gelände der UBC. Er symbolisiert die leidvolle Geschichte der indigenen Völker: Die Kinder den Eltern weggenommen und in Erziehungsheime gesteckt (Häuser am oberen Ende des Totempfahls).

UBC Studios & Emerging Media

Das Summer Institute ermöglicht Einblick in die diversen Medien-Dienste der UBC, beispielsweise den UBC Studios. Hier werden Filmproduktionen realisiert, etwa im «Lightboard Studio» oder Dozierende können im «One Button Studio» selbstständig Referate aufzeichnen. Das Lightboard Studio begeistert die Besucher. Die Dozentin doziert, auf eine Glaswand schreibend (siehe Galerie unten). Der Mitarbeiter ist offensichtlich ebenso begeistert von der Technologie. Darauf angesprochen, wer dies denn benütze, nennt er einen Mathematik-Professor, der in Online und in Real Time seine Mathematik-Vorlesung gehalten habe. Im Backspace hätten Teaching Assistants Fragen beantwortet, jedoch «This happened only once.» …  Aufwändige, teils stark animierte Hochglanz-Filmproduktionen, für europäische Augen eher überkandidelt. Beispiel.

Im Emerging Media Lab wird mit Mixed Reality Szenarien, Hololens, 3D-Animationen etc. experimentiert. Das Lab ist der Faculty of Education angegliedert, wo Forschungsprojekte im Schulfeld geplant und durchgeführt werden. Gelungenes Beispiel der «Stanley Park Geography VR Field Trip», eine mit Hololens begehbare virtuelle und interaktive Umgebung im Stanley Park. Ich bin dabei tief eingetaucht in die Frage, ob einem austrocknenden Weiher im Stanley Park künstlich Wasser zugefügt werden soll, um das Habitat zu erhalten.

Workshops als Element der Strategie

Beim Durchstöbern der Website des CTLT stosse ich auf den Annual Report 2017-18 (PDF). Im Vorwort beschreiben Simon Bates und Christina Hendricks, die beiden Direktoren des CTLT, die hauptsächlichen Themen im vergangenen Jahr: «Inclusion, collaboration and innovation, all themes of UBC’s new strategic plan, unite our work.» Der direkte Bezug auf die Strategie der gesamten Hochschule fällt auf. Die Themen der Workshops im «Summer Institute» widerspiegeln wiederum diese Themen.

«Inclusion, collaboration and innovation, all themes of UBC’s new strategic plan, unite our work.» … «The approaches that nurture and support deep co-operation and collaboration are built on strong values that define what we do and how we do it: mutual respect, shared goals, open and honest communication, a willingness to compromise and take measured risks, and a spirit of generosity.»

Gemeinsam lernen in kultureller Vielfalt

Der Besuch des «Summer Institute» ermöglichte besten Einblick in die Kultur von Zusammenarbeit und gemeinsamem Lernen hier an der UBC. Inspirierender Austausch in hoch diversen und interdisziplinären Gruppen unter Lehrenden verschiedener Fakultäten und kultureller Herkunft. Beeindruckend war vor allem der offene, wertschätzende und geduldige Umgang untereinander. Nicht wenige Lehrende aus China oder Korea sprechen gebrochen Englisch, teils schwer verständlich. Man hört allen geduldig zu, fragt nach, versucht die Erfahrung aus deren Lehrhintergrund und Kultur zu verstehen. – Zeitgleich lese ich Randy Garrisons «E-Learning in the 21st Century – A Community of Inquiry Framework for Research and Practice (2017). Das Buch des Kanadiers lag monatelang auf meinem Pult im Zürcher Büro, hier ist die Zeit dafür… Garrison: «The only way to make this (d.h. das Lernen) happen is a climate that encourages and supports curiosity through open communication where learners feel safe to share thoughts, critically explore connections, challenge perspectives and resolve dilemmas.» (p. 13). – Lernen durch Kooperation. Erfahrungsaustausch, Perspektivenwechsel und kritisches Hinterfragen: Selbst erlebt am Summer Institute.

Nachtrag

Nach dem Verfassen dieses Texts Besuch einer Führung über die Kanadische Malerin Emily Charr im Vancouver Art Museum. Die Kuratorin bezieht die Zuhörenden intensiv ein. Stellt im Minutentakt Fragen, will persönliche Eindrücke hören, fordert zu aktiver Teilnahme heraus. – Dies weckt Assoziationen an die Workshops im «Summer Institute». Eine ähnlich aktiv herausfordernde Haltung habe ich dort erlebt («Write down your impressions, you have three minutes time, then share your thoughts in the group» …).  – Für europäisch/schweizerisches Empfinden bleibt etwas wenig Luft zum Atmen. Ob dies Ausdruck einer anderen Haltung zu Lehren, des Umgangs miteinander ist? Persönlicherer und intensiverer, herausfordernder.