Als Nichtpädagogin vor einer Schulklasse mit 25 Jugendlichen der Sekundarschule stehen. Geht das? – Diesem Ausnahmezustand setzen sich seit bald fünf Jahren Schweizer Schriftstellerinnen und Schriftsteller regelmässig aus. Im Projekt Schulhausroman leiten die Autorinnen und Autoren jugendliche Schulklassen zwischen 13 und 16 Jahren beim Schreiben eines gemeinsamen Schulhausromans an. Die Geschichten werden auf der Website, als Lesehefte und in regelmässigen Lesungen publik gemacht. Richard Reich und Gerda Wurzenberger halten die Schulhausromane mit Unterstützung diverser Stiftungen am Leben.
Ist es zu verantworten, diese Autorinnen und Autoren einer Horde halbwüchsiger Hooligans auszusetzen? – Ja. Und was benötigen diese Schreiberinnen und Schreiber, welche viel vom Erzählen, von Plots und so viel wissen, aber meist wenig mit Pädagogik, Didaktik und dem Umgang mit Sek B- und C-Klassen am Hut haben? – Viel Engagement, gesunden Menschenverstand und etwas Wissen, wie Schulklassen dieses Typus «funktionieren». Und etwas Didaktik. Wobei der Ausdruck an dieser Stelle nicht ganz angebracht erscheint.
Dieser Tage haben sich die Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Literaturhaus Zürich zum «1. Schulhausroman-Kolloquium» getroffen. Ein Austausch unter Schreibenden, respektive «Schreibcoaches», welche «ihre Schreibkompetenz den schreibschwachen Jugendlichen „ausleihen“…», wie Ruth Schweikert ihre Arbeit umschreibt. So wurde intensiv diskutiert, inwiefern der Schreibcoach die Klasse manipuliert, wenn sie/er eine einige Romanthemen zur Auswahl oder eine Rahmengeschichte mitbringt, um nicht zum X-ten Mal eine Sex-, Drug- oder Crime-Geschichte begleiten zu müssen, oder um der allgegenwärtigen Fäkalsprache möglichst auszuweichen. In welchem Mass soll der ursprüngliche Schülertext in seiner Form belassen und in den Schulhausroman übernommen werden? Wie kann der Text durch «Normalisierung» verständlich gemacht werden. Richard Reich versteht die Arbeit des Schreibcoachs als Text-DJ, als Text-Sampler.
Und es ging durchaus auch um Didaktik, wenn etwa über den Umgang mit der eingeschränkten Konzentrationsdauer der Jugendlichen, dem Umgang mit dem Formtief nach dem dritten Besuch oder über die verschiedenen Zugänge zum Thema gesprochen wurde: Letzteres illustrierte ich mit einer «Landkarte zum Lernen und Lehren» aus dem Lehrmittel «Lernwelten»: Der «direkte Weg» (anleiten, beauftragen, führen) ist meist der Hauptweg und nicht selten die Unterrichtsform, welche man in der eigenen Schullaufbahn oft erlebt hat – unabhängig ob positiv oder negativ. Es geht darum, die Zugänge zum Thema zu variieren, neue Wege auszuprobieren. Und dass einigen Autoren dieser Ansatz doch schon arg zu didaktisch war, ist nicht weiter verwunderlich. Sie sollen eben nicht als Pädagogen vor die Jugendlichen treten; schnell genug wollen die Jugendlichen die Schreibcoaches in diese Rolle drängen. Und der Umgang damit war wiederum Stoff für engagierte Gespräche.
Gelegenheit für Austausch soll es künftig über das Kolloquium hinaus geben: Auf der Backstage-Seite von schulhausroman.ch: Die Schreibcoaches verfassen dort ihre Reflexionen zu den Besuchen in Form eines Blogeintrags. Ein «Handbuch für Schreibcoaches» mit FAQ-Seite dient zum Nachschlagen zu organisatorischen und didaktischen Fragen. Alle Einträge, in Blogs, Handbuch und auf den FAQ-Seiten können kommentiert werden. Dass auf diesen Seiten künftig «der Bär» los sein wird, mag ich bezweifeln. Die Schreibcoaches einigten sich darauf, dass sie auf künftige Einträge mit automatisierter Mail hingewiesen werden.
Interessant werden könnte auch die neue Rubrik: «Das grimmige Wörterbuch» werden. Hier sammeln die Schreibcoaches Wortschöpfungen der Jugendlichen und dokumentieren die Herkunft – analog dem Grimmschen Wörterbuch aus dem 19. Jahrhundert. Und dies könnte durchaus Aufhänger für vermehrte Besuche auf der Seite sein. Wer weiss, was ein «Breitling», was «allsprachig» ist oder was «Pfotengrüsse» sind? Das steht dort auf der Backstage-Seite, passwortgeschützt. Ja, liebe Leserin, lieber Leser, da kommst du nicht rein. Und das ist gut so. Vorläufig wenigstens.
Informationen zum Projekt Schulhausroman:
– Bericht 10vor10
– Bericht Echo der Zeit
– Weitere Pressestimmen
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