Im Dezember befindet sich das Jahr auf der Zielgeraden. Zeit also für den Jahresrückblick und -ausblick. So geschiehts in den Medien und über die Medien. Die einen freut’s und die anderen ärgert’s:

google-androidOssi Urchs ärgert sich in seinem Blogbeitrag, dass Frank Schirrmacher im kürzlichen FAZ-Artikel Gedanken zur Echtzeit zum besten gibt und gemäss Urchs darüber herzlich wenig aussagt. Schirrmacher schreibt vom Android Google-Handy, welches  Anfang 2010 in Deutschland anscheinend ohne Vertragsbindung angeboten werden soll und von Google als weiteres Instrument für neue Echtzeit-Dienste missbraucht würde. Wie wird die Medienlandschaft in absehbarer Zeit aussehen, wenn News durch die googleschen Algorithmen «errechnet» werden?  – Angstmache oder ernstzunehmende Warnung? – Ein «Trommelfeuer journalistischer Echtzeit-Ergüsse» nennt Urchs Schirrmachers Artikel. Derweil es Schirrmacher auf die «Berater und Werbeträger, die „wordpress“ bedienen können» abgesehen hat. Und Urchs ärgert sich ausgiebig über Schirrmachers Phobie vor Handys, Algorithmen, dem Internet und schliesslich dem Computer.

Mit Verlaub, gehen sich da nicht eben zwei Berufsleute an den Kragen? Der eine verteidigt den Tagesjournalismus als einziger Vermittler von Informationen mit Tiefgang. Derweil sich der andere mit der digitalen Welt gut arrangiert hat. Schirrmacher müsse nur sein neustes Buch «Payback» vermarkten, deshalb Schirrmachers Artikel, meint ein Kommentator in Urchs Blog und schiebt gleich seinen Blogbeitrag nach. Schirrmachers technikfeindliche Thesen werden aber gehört: In Twitter bringt der Suchbegriff «Schirrmacher» eine Vielzahl von Kommentare zutage. Die Isarrunde diskutiert Schirrmachers Thesen und lässt ihn dort gleich selbst zu Wort kommen. Und sogar auf die englischsprachige Seite der Edge Foundation (edge.org) hat es Schirrmacher geschafft. Seine Thesen werden dort wie auch in den Twitterbeiträgen mehrheitlich kritisch diskutiert.

Was bei diesen Streitgesprächen auch auffällt: Je schwärzer Schirrmacher den Teufel an die Wand malt, desto ungehaltener werden seine Gegner. Es stimmt, wie ein Kommentator genervt schreibt, dass jeder Mensch frei ist, im Internet zu konsumieren und zu kommunizieren, was er will. Niemand ist dem Internet hilflos ausgeliefert. Und wer genug von Echtzeit-Kommunikation hat, kann sein Handy «einfach» ausschalten. Doch dies gegentlich zu tun, ist im Alltag gar nicht so einfach und benötigt ein eine gehörige Portion Selbstbewusstsein und die Fähigkeit, aus den unangenehmen Folgen eines «Zuviel» entsprechende Schlüsse zu ziehen.
Ich finde es auch grossartig, wie Schirrmachers Thesen meist fundiert diskutiert werden. Wenn ich all die engagierten Blogdiskussionen zu Schirrmachers Buch und Artikel lese, fühle ich mich angeregter als nach der Lektüre mancher Kommentare, Kolumnen etc in der Tagespresse. Und all dies kann ich kostenlos studieren. Dass Google & Co. deshalb dazu übergegangen ist, all die im Internet frei verfügbaren Inhalte zu sammeln und zu strukturieren, ist eigentlich nur logische Konsequenz. Doch die bezahlte Tagespresse lässt sich nicht gegen die kostenlosen News im Internet ausspielen. Beide Newskanäle sind notwendig. Es stimmt schon nachdenklich, dass renommierte Tageszeitungen, welche nicht nur Ereignisse nacherzählen, für ihre fundierten Recherchen und Analysen nicht mehr bezahlt werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass all die engagierten Blogschreiber/innen wohl nebst intensivem Bloglesen auch die eine oder andere Tageszeitung lesen. Doch wird dies die nächste Generation auch noch tun? Wird sie dies überhaupt noch tun können? Beides ist notwendig, die freie Internet-Szene und professionelle Medien. Und mit beiden muss die Leserin/ der Leser kritisch umgehen und beurteilen lernen.
So bin ich über Schirrmachers zwiespältigen Satz gestolpert: «Es mehren sich die Stimmen, die Computererziehung, digitale Alphabetisierung – mittlerweile ein glänzendes Geschäftsmodell von als Psychologen getarnten Unternehmensberatern – fordern, und die Forderung ist gewiss nicht ganz falsch.» – Also ob sich mit Medienbildung («Computererziehung») viel Geld verdienen lasse. Und dass das Thema aus pädagogischer Perspektive ebenso analysiert werden muss, gibt Schirrmacher im selben Satz unumwunden zu.

Gegen obige Keifferei hört sich nachfolgende Einschätzung der Jahresbilanz von Twitter etwas harmloser an: «Ein turbulentes Jahr für Twitter, doch jetzt ist die Luft raus» titelt Jürgen Vielmeier in seinem Blogbeitrag und lässt sich etwa über die altbackenen Funktionen von Twitter aus. Und prompt widersprechen ihm praktisch alle Kommentatoren. «Tun wir uns nur in Deutschland wieder einmal so schwer? Wird wieder alles kaputt geredet?» ärgert sich ein Schreiber und ein anderer: «Twitter ist tot? Das war der beste Witz seit Wochen.» – Dass die Nutzerzahlen von Twitter im Sog von Facebook u.a. rückläufig sind, hat sich wohl rumgesprochen. Dass Twitter jedoch eine Entwicklung zu einem durchaus brauchbaren «Newsfeed» durchgemacht hat, entdecken viele. Mit welchem Dienst lassen sich auf dem Handy so einfach News von einer Vielzahl von Medienanbietern abonnieren?

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Im Vergleich zu obigen Themen scheint Roger Zedis nüchterne (und wohl nicht ganz vollständige) Beschreibung der digitalen Entwicklung des ausgehenden Jahrzehnts weniger zu bewegen. Hier. Die rasante Blitzfahrt führt uns aber vor Augen, welch weiten Weg die Digitalisierung in den letzten zehn Jahren gegangen ist. Und wieviele Geräte sind unterdessen zum Schrotthändler gewandert – wie z.B. wohl die meisten Instantfoto-Automaten (Bild). Dass da einige Menschen nicht Schritt halten können, liegt auf der Hand. Und dass man sich über deren Entwicklung nicht immer einig ist ebenso…

Weitere Jahresrückblicke:
– Prognosen zu Social Media im 2010 auf twittoch.de.