payback«Dies ist kein Pamphlet gegen Computer!» verteidigt sich Frank Schirrmacher auf den letzten Seiten seines Buchs «Payback». Davor hat Schirrmacher über unzählige Seiten hinweg die herannahende Verdummung wegen den Computern herbeigeredet. «Der Computer nimmt uns das Denken ab, wir denken nicht mehr selbst» (S. 18) mahnt er. Noch mehr, der Computer manipuliere uns: «Wir suchen nicht nur nach Neuigkeiten, wir suchen immer auch nach Erlösung von dem, was uns lenkt.» (S. 53). Das klingt doch reichlich pathetisch, oder? Und weiter: «Unsere Werkzeuge verändern unsere Umwelt. Vor allem aber verändern sie uns selbst.» (S. 145)Schirrmacher beklagt, wie sich die Computernutzer von diesem Gerät gefangen nehmen lassen würden, sie verlieren sich im Cyberspace und im vermeintlich möglichen Multitasking. Die Nutzerinnen und Nutzer könnten nicht mehr relevante Informationen erkennen und würden ihre Zeit mit unwichtigen Informationen vertrödeln: «Wir werden das selbstständige Denken verlernen, weil wir nicht mehr wissen, was wichtig ist und was nicht.» (S. 20)

Ist dies aber nicht ein urmenschliches Problem? Was fange ich mit meiner Zeit an, was ist für mich wichtig, wofür will ich mich engagieren und was lasse ich links liegen? Diese Fragen stellen sich doch nicht erst seit dem Medienzeitalter. Wer am lautesten schreit, wird zuerst gefüttert. Und Computer schreien im Allgemeinen laut. Aber nicht nur die Informations- und Kommunikationstechnologien stellen uns ständig vor neue Entscheidungen. So erwarten uns am Kiosk eine Unmenge von Zeitungen und Zeitschriften, welche ausgewählt werden wollen. Und die Kabelanbieter bringen uns mittlerweile mehrere Hundert TV-Sender ins Haus. Hier muss ich genauso auswählen, muss wissen, was ich suche und was ich benötige. Genau gleich muss ich auswählen können zwischen einer Vielzahl von Feriendestinationen und den 250 Käsesorten in meiner Lieblingsmolkerei. Auswählen können im Überfluss, diese Kompetenz ist notwendig, ganz unabhängig von Computer und Internet.

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Wenn Schirrmacher beklagt «Wir lesen keine Bücher mehr» (S. 20), dann höre ich eher das Lamentieren eines Verlegers, der schwindende Auflagen beklagt. Mit Verlaub, wir lesen am Computer elektronische Zeitungen, Blogs, E-Books. Wo ist denn der Unterschied, ob wir die FAZ als Printversion oder auf dem iPad lesen? Schirrmacher beklagt, dass sich die Leser im Internet verlieren zwischen den unzähligen Klicks. Mal hier, mal da ein Lesehäppchen. Und wie urteilen wir darüber, wenn ein Leser in der Zeitung stöbert? Mal hier einen Titel, einen Lead, da eine Boxinfo, der letzte Abschnitt des Artikels. Wo ist da der Unterschied?

Zugegeben, die Thesen von Schirrmacher stimmen auch nachdenklich, wenn er herleitet, wie das Denken «nach aussen wandert» (S. 71 und 142), weil wir das Speichern und das Bewerten von Informationen an den Computer delegieren. Und die Unterscheidung zwischen Wichtigem von Unwichtigem ist in der Tat nicht einfach. Oft fehlen dazu die notwendigen Hintergrundinformationen. Und vor allem die Musse zu vergleichen. Und Zeit, um nachzudenken. «Der Computer ist kein Medium. Er ist ein Akteur.» (S. 77) beschreibt Schirrmacher treffend. Denn längst hat sich der Computer vom passiven «Rechnungsknecht» zum proaktiven Meinungsmacher entwickelt, welcher Informationen automatisch gewichtet etc. Und diese «automatisch generierten Meinungen» nehmen viele für bare Münze, vorab die Jugendlichen, aber wohl auch viele ältere Semester. Wer nebst Google als Alternative noch Wikipedia wählt, hat schon «breit» recherchert…

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Doch eine patente Lösung aus dem Würgegriff kann Schirrmacher auch nicht liefern: «Wir sind in einer Zwickmühle: Wir brauchen die Software, die uns analysiert, um mit der Informationsflut fertig zu werden. Aber indem sie uns analysiert, reduziert sie immer mehr unser Gefühl dafür, dass wir wählen können und einen freien Willen haben. (S. 105) Was bleibt ihm, ausser vielleicht die Empfehlung, elektronische Geräte auch mal abzuschalten? Dass wir solche «Abschaltpausen» benötigen, steht in jedem Buch zu Zeitmanagement. Und Schirrmacher zitiert u.a. Miriam Meckel, welche zum Mut zum Ausschalten aufruft.

Was Not tut, ist die Fähigkeit, mit den unendlichen Möglichkeiten der elektronischen Medien umgehen zu lernen. Da stecken wir mitten drin. Mit nützlichen Strategien experimentieren viele meiner Bekannten. So kenne ich in meinem Umkreis nicht mehr viele, welche die automatischen Alerts bei jeder hereinkommenden Mail noch aktiviert haben. Und nicht wenige verzichten bewusst auf die Möglichkeit, auf ihrem iPhone Mails abzurufen. Man bevorzugt die «verbindungslose» Zeit im Tram. Zumindest schalten sie diese Möglichkeit für Geschäftsmails übers Wochenende aus, wie ich dies tue.

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Schirrmachers Buch ist über weite Strecken eine treffende Analyse unserer Situation in der heutigen Mediengesellschaft, wenngleich man bei ihm eben die Lösungen mehrheitlich vergeblich sucht. Zuweilen bleibt auch der Eindruck, dass Schirrmacher mehr die negativen Aspekte des Mediengebrauchs betont, So moniert er wie oben beschrieben, der Computer nehme uns das Denken ab. Er erwähnt aber nicht, dass uns dasselbe Medium auch helfen kann, unser Denken zu ordnen und zu strukturieren, sei dies mit Mindmaps, Wikis oder mit Blogs wie diesem uam. Das Medium per se ist also nicht «schlecht», es kommt auf den Nutzer an, wie kompetent er dieses einsetzt.

Einen Zweck erfüllt das Buch aber auf jeden Fall: Es gibt Anlass, über den Computer und seine Qualitäten nachzudenken. Und eben dies empfiehlt Schirrmacher den Lehrpersonen: «Schulen müssen Computer als Instrumente integrieren, die Schüler nicht nur benutzen, sondern über die sie nachdenken müssen. Sie müssen erkennen lernen, dass die verführerische Sprache der Algorithmen nur Instrumente sind, dafür da, um Menschen Denken und Kreativität zu ermöglichen.» (S. 218). – Und das ist doch Aufgabe einer umfassenden Medienbildung, oder?

Fotos: Schnell, schneller am schnellsten. Winterliche Rush Hour beim Schauspielhaus Zürich. Jürg Fraefel.