gmk_berlin-6Berlin. – Eine willkommene Zäsur vor Jahresende. Stream your life!? – Das Thema der diesjährigen GMK-Tagung. Es ging um Kommunikation und Persönlichkeitsrechte in neuen Kulturräumen. Welche «neuen Kulturräume» damit gemeint sind? – Die virtuellen Räume der Social Communities wie SchülerVZ, Facebook etc. Interessant, die sozialen Netzwerke werden im Tagungstitel als «Kultur»-Raum bezeichnet: Im Verlauf der drei Tage ging es dann immer wieder darum, inwiefern Erwachsene die Jugendlichen und Kinder auf den Umgang mit Online-Medien vorbereiten und sie vor deren Gefahren warnen müssen. – Seit wann ist «Kultur» denn gefährlich? …

Wohltuend das Eingangsreferat von Stefan Aufenanger. Er forderte in seinem Referat «Herausforderungen der Zukunft der Medien», dass den Jugendlichen auf jeden Fall eine Selbstbestimmung im Netz zugesprochen werden soll. Als Erwachsene greifen wir immer wieder in die Welt der Jugendlichen ein, Jugendschutz kann als ein generationeller Eingriff verstanden werden, so Aufenanger. Und auch in der anschliessenden Diskussion vertrat er diese These immer dann, wenn nach griffigen Regeln im Umgang mit Online-Medien verlangt wurde: Wir sollen Respekt vor dem Webschaffen der Jugendlichen haben, meint Aufenanger, und es soll bei jeder allfälligen Interventionen behutsam abgewogen werden zwischen Grenzen setzen und Freiheit gewähren. Und: «Wir fördern die politische Bildung von Jugendlichen mit Jugendparlamenten etc. und gleichzeitig wollen wir sie schützen vor den schlechten Einflüssen im Internet.» Das passe nicht zusammen.

gmk_berlin-5Dass sich die Besuchenden den Weg auf dieser Gratwanderung suchen, das hörte man in Diskussionsrunden und Pausengesprächen immer wieder heraus. Oft kreisten Gespräche in Workshops und Gesprächen um Persönlichkeitsschutz und  wie es gelingen kann, dass Jugendliche eine gesunde Balance zwischen verantwortungsvoller Selbstdarstellung und Zurückhaltung im Preisgeben von persönlichen Informationen und unvorteilhaften Fotos finden können. Da stellten sich Vertreiber von Softwarelösungen zur Einschränkung des Internetzugangs neben Vertretern von SchülerVZ an die Bistrot-Tische. Letztere mussten sich zuweilen heftig dafür verteidigen, dass in Schüler VZ nur Schüler und Jugendliche Zutritt haben sollen. Und erstere machten munter Werbung für ihre Softwarelösungen.

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Um Datenschutz und Persönlichkeitsschutz ging es meines Erachtens an dieser Tagung etwas stark. So illustrierte  Hendrik Speck in seinem Referat zwar eindrücklich, wie leicht seine Studierenden an persönliche Daten aus Online-Communities herankommen und diese dann auswerten können. Wir sahen wunderschön farbige Grafiken («Können Sie es lesen?»), für deren Erhellung blieb dann aber keine Zeit. Dafür blieb Zeit, um 100 (!) Themen in Profilen von Online-Communities im Detail aufzulisten. Der Vergleich mit der politischen Datensammlung durch Geheimdienste oder Volksbefragungen, welche über weite Strecken weniger detailliert seien, so Speck, ist zwar interessant, erhellt das Thema aber nicht wirklich. Es ist doch wenig dagegen einzuwenden, wenn Jugendliche ihre Lieblingsband, ihr Lieblingsbuch etc. dort eintragen, ausser dass solche Formularausfüllerei wohl wenig identitätsbildende Funktion hat. Insofern gab sein Referat wenig Antworten, auf die Frage, inwiefern Social Communities identitätsstiftend sein können oder nicht.

Vielleicht beurteile ich den Sachverhalt aber doch aus meiner Erwachsenenperspektive. Zumindest ermöglichen soziale Medien den Jugendlichen, probehalber in verschiedene Identitäten schlüpfen und neues ausprobieren zu können. Die Frage ist nur, ob sie daraus auch wieder herausfinden können. Dazu bemerkte ein Zuhörer in einer Diskussionsrunde, aus seiner Beobachtung würden die über 40-Jährigen, welche im Moment in die sozialen Netzwerke drängen, ihre Person blauäugiger und offenzerziger in ihren Profilen präsentieren. Ob ihnen diesbezüglich wohl doch die Erfahrung im Umgang mit Online-Medien fehlt, welche wir Erwachsenen den Jugendlichen absprechen?

gmk_berlin-8Erfrischend war insgesamt, wie engagiert und fundiert im Anschluss an die Referate jeweils diskutiert und nach möglichen Thesen gesucht wurde. Beispielsweise:

  • Jugendliche stehen unter sozialem Druck, sich medial zu präsentieren. Die Anforderungen, Informationen über sich ins Netz zu stellen sind sehr hoch geworden. Die Jugendlichen kommen nicht darum herum, ihr Bild und weitere sensible Daten ins Netz zu stellen.
  • Wir Erwachsene wollen den Jugendlichen unsere eigene Zurückhaltung im Umgang mit virtuellen Medien aufdrängen. Die Jugendlichen haben uns die Social Communities gebracht, wir Erwachsene haben diese von ihnen «gelernt». Nun kommen wir und bringen unsere alten Konzepte (Jugendschutz) und stülpen diese den Jugendlichen über.
  • Wo ist die Grenze der medialen Selbstpräsentation der Jugendlichen? Wann muss man sie davor schützen, sich etwas «anzutun»? Beispielsweise, wenn sie heruntergemacht werden in Bohlens «Deutschland sucht den Superstar» …
  • Das Thema ist nicht nur für Jugendliche aktuell. Es findet bei allen Internetnutzern ein Kontrollverlust statt: Die Google-Suche nach dem eigenen Namen bringt neue Verweise zum Vorschein, die man nicht vermutet hätte. Und noch mehr Daten der Nutzer sind «unsichtbar» gespeichert.
  • In Finnland gehen Jugendarbeiter in die sozialen Netzwerke, dieser Präventionsansatz fehlt in Deutschland (in der Schweiz).
  • Wir kurieren an Symptomen, wenn wir über Stream your life etc. diskutieren. Das Vorbild der Erwachsenen ist wichtig. Alter Satz: «Man kann die Kinder nicht erziehen, sie machen einem doch alles nach.»

gmk_berlin-9Am Tag nach meiner Rückkehr steige ich in unserer Pädagogischen Hochschule die Treppe hoch. «Mathematik ist überall» steht in grossen Lettern in einem Schaukasten geschrieben. Ich erinnere mich an gehörte Forderungen an der GMK-Tagung: Aufenanger fordert eine Zusammenführung von Erziehungswissenschaften und Medienpädagogik. Und Niesyto: «Wir benötigen eine gesellschaftliche Diskussion, die weit über medienpädagogische Fragen hinaus geht. Es geht auch um die Frage, wie entwickelt sich die Gesellschaft *insgesamt* weiter, mit und unabhängig von Medien.» Insofern hätte ich mich gefreut über eine Tafel «Medienbildung ist überall».