Kurz vor den Sommerferien wird die neue Olympus Pen mit grossem Tam-Tam angekündigt: kleinste Kamera mit Wechselobjektiv, gleiche Qualität wie Spiegelreflexkameras etc. Ich vermisse erstmals einen Sucher und bin enttäuscht. Welche Erfahrungen die ersten stolzen Besitzer damit wohl machen? – Ich suche im Twitter, d.h. ich frage Menschen, welche über ihre Eindrücke schreiben. Der Suchbegriff «Olympus Pen» zaubert viele Einträge hervor, vorab japanische Einträge, wo die Kamera als erstes erhältlich ist. Schmalschlaeger verweist mich auf den neusten Testbericht und ein Twitter-Mitglied aus Thailand veröffentlicht laufend mit der Pen aufgenommene Fotos, leider alles auf Thailändisch. Und Orcinus aus Kroatien ist begeistert von der Bedienungsfreundlichkeit der Kamera, anders kann ich mir nicht erklären, dass er seit einer Woche täglich mehrmals Beispielfotos und Tipps im Twitter veröffentlicht.
Vor einigen Wochen war ich während des denkwürdigen Tennis-Match Federer – Roddick unterwegs. Ich informierte mich im Restaurant laufend mit Twitter-Einträgen über den Verlauf des Match – und ich amüsierte mich köstlich über die witzigen Kommentare von bibbernden Tennisfans beider Lager aus aller Welt. Nicht schlecht staunte aber mein Tischnachbar, welcher sich über einen LifeTicker auf dem Laufenden hielt: Er erhielt die neuesten Ergebnisse später als ich (hier mein Twitter-Eintrag dazu).
Tyler Cowen meint im Interview in der SonntagsZeitung, Twitter würde unterschätzt, die Effizienz der Suche sei extrem effizient. Nicht umsonst hat Twitter kürzlich seine Startseite angepasst und die Suchmaske prominenter plaziert. Kürzlich erzählte mir eine Person, während ihres Aufenthalts in London hätte sich sich zum grossen Teil mit Suchanfragen in Twitter informiert und sei dabei auf echte Trouvaillen an Restaurants, Museen usw. gestossen.
Die Beobachtung scheint also zuzutreffen, dass zunehmend Empfehlungen anderer Menschen den maschinengenerierten Antworten von Suchmaschinen vorgezogen werden. Man schätzt die Vertrauenswürtigkeit eines einzelnen Menschen höher ein, auch auf Kosten möglicher persönlicher Subjektivität. Und Hand aufs Herz: Hat jemand schon einen «objektiven» Testbericht gelesen? Schlussendlich muss man einfach das Gefühl haben, «richtig» entschieden zu haben. Dazu ist die Fähigkeit ist gefragt, sich ein Urteil zu bilden anhand einer Vielzahl von Informationen, aus dem Internet, aus Zeitungen, persönlichen Gesprächen etc. Und nur wer verstanden hat, auf welchen Prinzipien Google, Twitter etc. aufgebaut sind, kann die Relevanz der Infos auch eher einschätzen.
In einem persönlichen Gespräch erklärte mir jemand kürzlich, die anonymen Suchmaschinen seien vergleichbar mit der Globalisierung: Zuerst waren die Menschen fasziniert von deren Vorteilen: billige Flüge, leicht verfügbare internationale Produkte etc.; dies oft auf Kosten von persönlichen Beziehungen (Adieu Dorfladen). Soziale Netzwerke ermöglichen nun beides: internationale Kontakte und persönliche Beziehungen, eine Art «Rückbesinnung» also. Tönt plausibel. Persönlich bin ich etwas skeptisch über diese These, meine virtuellen Kontakte bilden auf jeden Fall fast ausnahmslos meine face-to-face-Kontakte ab.
Zurück zur Olympus Pen: Ich werde wohl meinen Freund, den Profi-Fotografen fragen, was er darüber meint und mich dann entscheiden – ich werde ihn fragen, sobald ich ihn das nächste Mal in Skype antreffe…
Hallo Jürg
Per Zufall bin ich auf deinen Beitrag zu Twitter und ‚wisdom of the crowd‘ gestossen. Ich habe auf meiner to-blog-Liste schon länger einen Artikel zu diesem Thema doch irgendwie gabs immer Aktuelleres … Auslöser dafür war eigentlich ein anderer Dienst als Twitter, nämlich http://vark.com/ Wenn du dich da registrierst, kannst du via IM Leute ganz gezielt (man hat ja ein skill-Profil) nach Lösungen fragen (und wirst auch gefragt) … du musst also nicht einfach in die Twitter-Wolke rausposaunen und hoffen, dass dich jemand erhört. Aardvark wird deine Fragen nur an jene Leute weiterleiten, von welchen es glaubt zu wissen, dass sie dir helfen können …
Gruss
Marc
Lieber Marc
Vielen Dank für deinen Hinweis zu vark.com. Der Dienst tönt spannend. Habe nur den Eindruck, dass mit der Reduktion auf IM nicht mehr viele kompetente Adressaten übrig bleiben. Weshalb nicht in Twitter? Die Anfrage geht doch an meine Followers, die sich für mein/unser Thema interessieren. Die Wahrscheinlichkeit ist da, dass sich kompetente Ratgeber darunter befinden. Viel mehr stellt sich bei mir die Frage, ob Twitter oder Facebook. Habe zwar das PlugIn installiert für gleichzeitiges Publizieren in Tw und Fb, doch das kommt nicht so gut an… Wie machst du’s?
Hallo Jürg …
Das mag zutreffen, auf Bereiche, wie Medienbildung, welche uns interessieren und wir abonniert haben. Wenn ich aber nun etwas zum Paarungsverhalten von Meerschweinchen in freier Wildbahn wissen will könnte vark.com bessere Ergebnisse liefern als Twitter … (Vergleich: Twitter = ich frage meine Freunde, Vark.com = ich frage 111 oder Gelbe Seiten).
Ich hab mich falsch ausgedrückt, Vark.com funktioniert soviel ich weiss auch via Webinterface (und vielleicht demnächst auch via Twitter oder Facebook, wer weiss). Ich weiss aber nicht wie viele Leute bei Vark.com registriert sind und regelmässig antworten.
Ich hab ne Facebook-App, welche Twitter-Messages nur als FB-Status setzt, wenn sie den Hashtag #fb enthalten …