Seattle. Stadt von Amazon, Microsoft, Starbucks und Nirvana. Einsame Metropole im Nordwesten der USA. Zu Besuch bei neuen Freunden. Er Radiomann, sie Therapeutin. Kennengelernt haben wir uns im Sommer im kanadischen Whistler, in der Peak-to-Peak-Gondula, hoch über dem Tal dahingleitend. Was haben wir uns Geschichten erzählt, aus unserer Heimat, unseren Familien, unserem Leben. Tausende von Kilometern entfernt wohnen wir und doch so ähnlich sind unsere Geschichten.

«It’s all about people», meint All bei der Ankunft in ihrer hellen Loft in Seattle Downtown. Die beiden wollen uns Seattle zeigen. Die Stadt lebt von ihren Menschen, also sollt ihr sie kennenlernen! Und wir werden rumgereicht. Strand, Bars, Markt, immer neue Gesichter. Am Radio erzählt All seine Geschichten den Zuhörern. Zum Beispiel damals vom ersten Schultag ihrer Tochter, währenddessen er am Sendepult sass. Man sprach in auf der Strasse an. «Ich war so berührt.» – Das Radio heute mag seine Geschichten nicht mehr senden. Genau zehn Songs pro Stunde, dazu 13 Werbespots, wenig Talk. Der Radiomann im Auto-Pilot, alles vorgegeben. Währung ist Anzahl Hörer, die Konkurrenz schläft nicht. 40 Radiostationen in Seattle.

«It’s all about storytelling», erkärt Sue bei unserem Rundgang durch Seattles Museumsviertel. Sie erzählt ihre Geschichten in TED Talks und Essays. Im Beratungsgespräch lässt sie die Klienten ihre Geschichten erzählen, meist Führungskräfte von Microsoft und Amazon. Und am Schluss festhalten, was sich verändert hat, eine neue Perspektive erlangen. – Rundgang vorbei am Dale Chihuli Museum und dem Museum of Pop Culture, finanziert durch Microsoft-Mitgründer Paul Allen. Die beiden Microsoft-Köpfe Allen und Gates sind präsent in der Stadt, angesehene Geschäftsleute, welche Seattle an ihrem Reichtum teilnehmen liessen. Man hat kein Ohr übrig für Denunziationen, welche in Europa oft über Gates & Co. erzählt werden. Nicht jede Geschichte muss wahr sein.

Geschichten von Menschen überall. Am Lagerfeuer am Meer. In der Bar beim Bourbon. Dann haben wir doch noch einige Plätze und Gebäude besucht. Belebte und hohe. Um wiederum über Geschichten zu stolpern, beispielsweise diejenige von Ryan, einem Fischhändler am Seattle Farmers Market. Er berichtet von seinen Geschichten mit Kunden, sie fliegen seinen Fisch im Flugzeug nach Hause. Seine Obsession fürs Snowboarden und weshalb er nicht mehr nach Kanada in den Schnee fährt.

Neue Geschichten überall. Und was bleibt? Es geht nicht um dich, erklärt All beim Spaziergang. Du erzählst deine Geschichte und lässt damit den anderen seine Geschichte entdecken. Wir brauchen die Geschichten der anderen, um unsere eigene Geschichte hören zu können. Wenn wir denn hinhören wollen.

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Thanks to Sue and All. Text in English (PDF).