Die Solothurner Filmtage veranlassen uns, über den Schweizer Film nachzudenken. Und die Arbeitsgruppe «Monte Verità» lud letzten Freitag zu einer Informationsveranstaltung nach Solothurn ein. 45 Produzenten, Filmschaffende, Filmförderer etc. brüteten im August letzten Jahres auf dem «Monte Verità» bei Locarno über der Zukunft des Schweizer Films. «Was müssen wir gemeinsam tun, um dem Schweizer Film eine erfolgreiche Zukunft zu geben?» lautete die Grundfrage der Tagung, welche von der SRG SSR idée suisse initiiert wurde.
Ich hatte einigermassen konkrete Ergebnisse erwartet, aufgetischt erhielten die etwa 60 Personen ein Dutzend «Handlungsfelder» und dazu wurden Personen genannt, welche bis zum Sommer Empfehlungen ausarbeiten sollten: Etwa die «objektive und transparente Vergabe» der Fördergelder, die Rolle der Schweizer Filmschulen oder das Zusammenwirken der Schweizer Förderinstitutionen etc. Soweit so unspannend. Aufgefallen ist erstmals die geschliffene Moderation eines smart gekleideten Herrn, welcher sich als «filminteressiert» bezeichnete. Man erfuhr wohl mehr über die angewandten Instrumente der Grossgruppenmoderation als über konkrete Inhalte. Der arme Kameramann war – so schien es – sichtlich besorgt um seinen Beitrag, denn viel zu sagen würde es eben nicht geben, das war wohl auch ihm klar: Keine Kameraperspektive liess er aus, seine emsige Bewegung durch den Saal schien die einzige im Raum zu sein.
Etwas Bewegung kam in die Zuschauer beim anschliessenden Frageteil. Zwei Produzenten meldeten sich. Der eine, Produzent Werner Schweizer, hätte gerne die «fünf schlechtesten Filme der letzten zwanzig Jahre» analysiert gehabt und welche Fehler damit gemacht worden sind. Der andere erklärte sich ausschweifend, weshalb er die Einladung abgelehnt hatte. Kurz: Die Meinungen seien eh schon gemacht gewesen. Klare Angriffe von unten, prompt erwidert von den auf dem Podium Anwesenden. Jawohl, alles Männer. Genau in diese Kerbe hieb denn auch die Dozentin der ZhdK: Wo die Frauen in den Arbeitsgruppen geblieben seien. Der Moderator antwortete mit dem Gruppenbild der «Monte Verità»-Gruppe. Dort waren die Frauen wirklich in der Überzahl. Doch weshalb diese in den Arbeitsgruppen nicht angekommen sind, mochte der Kommunikationsprofi nicht verraten.
Weitaus wichtiger Grund der Rednerin aus dem Publikum war für sie jedoch der Angriff auf die Medienschulen. Zumindest hatte sie einen solchen bei der Präsentation der «Handlungsfelder» verortet. Und diesen parierte sie mit scharfem Ton. Die Filmschulen seien bestens vernetzt. Und ein Schweizer Filminstitut wäre nicht die Lösung aus der Misere. Insgesamt kam mir die ganze Diskussion ziemlich dünnhäutig vor, vorwurfsvoller Ton, gereizt, zuweilen gehässig.
Eine treffende Beschreibung der Szene habe ich zum Schluss in Sennhausers Filmblog gefunden. Da spricht ein Branchenkenner. Inklusive Bilder. Mir gefällt besonders seine Beschreibung des Kommunikationsprofis: mit seinem Rollkragenpulli «…sauber zwischen Bill Gates und Steve Jobs gestylt…» So bleibt zu hoffen, dass die Arbeitsgruppe im August die in Aussicht gestellten Antworten zur Zukunft des Schweizer Films ansatzweise liefern kann.
Anschliessend wechselte ich zur Präsentation der Filmproduktionen aus den Filmhochschulen ins wohl schäbigste Kino Solothurns: Fantastisch, was den Anwesenden geboten wurde. Kurzfilme und Filmausschnitte mit Herzblut, Witz und Charme. Qualitativ hochwertige Filmarbeit der Studierenden, professionell und engagiert. So schlecht kann es nicht um den Schweizer Film bestellt sein, oder?
Weiter zum Kurzfilm «ja ja, nein nein» von Ulrich Schaffner und Peter Volkart. Mit viel Witz setzt sich der Film – halb Dok, halb Fantasy – mit der Geschichte der Kulturförderung im Kanton Aarau auseinander. Zur Abrundung der Dok von Peter Liechti: «The Sound of Insects – Record of a Mummy». Eine feinfühlige Nacherzählung eines Selbstmords durch Verhungern. Bedrückend einerseits und doch irgendwie lebensbejahend.
Und heute Samstag Abend «Der grosse Kater» in der Solothurner Reithalle, zusammen mit 1000 Zuschauern. Ein weiterer Film mit dem rührigen Bruno Ganz. Ivo Kummer, der Direktor der Solothurner Filmtage, meinte anlässlich der Begrüssung, er sei emotional sehr gerührt gewesen von diesem Film. Und das würde etwas heissen, das passiere ihm nicht so schnell… Diplomatie oder ernst? Ich nehme mal zweites an. Dem Publikum und mir ging es ebenso. Vergessen auch die teils vernichtenden Filmkritiken. Ingesamt wurde «Der grosse Kater» von der Presse positiv beurteilt, beispielsweise im Film-Podcast von SR DRS (den jeder Filminteressierte eigentlich abonniert haben sollte). Download von Unterrichtsmaterialien zum Film bei «Kinokultur in der Schule» (Achaos).
Bei der Nachhausefahrt frage ich mich, weshalb das Lamentieren über den Schweizer Film. Bestimmt, die Höhenflüge von «Herbstzeitlosen» & Co. sind vorbei und das «Sennentuntschi» hält uns in Atem. Vielleicht fehlt dem Schweizer Film doch etwas der Mut, was einige Analysanten zu glauben wissen (Christian Jung, NZZ am Sonntag, 17.1.10) und das Schweizer Kino ist wirklich zu wenig gefährlich (Florian Keller, Tages-Anzheiger, 16.1.10). Aber so richtig mutig waren die Schweizer doch noch nie wirklich, oder? Und somit passt’s doch.
A propos Mut: Den obigen Film von Peter Liechti dürfte man wohl als «mutig» bezeichnen. Besteht er doch im Wesentlichen aus abgefilmten Plastikblachen und Waldszenen, mal mit und mal ohne Wind und Regen. Und entstanden ist ein ausdrucksstarkes Kunstwerk. Intensives Kino eben. Die Schweizer Dokumentarfilme machen’s also vor, scheint es. Siehe die Vielzahl mutiger und ermutigender Schweizer Dok-Filme. Aber keine Blockbuster eben.
Zum Schluss: Ein hilfreiches Rezept für den erfolgreichen (Schweizer) Film findet sich auf der Website von Ulrich Schaffner. Guten Appetit.
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