«Sea! – Hawks!» grölt das Pub in Vancouvers Gastown-Quartier. An Schlaf ist nicht zu denken, weder in Seattle noch in Vancouver. Die Football-Mannschaft der Seattle Seahawks spielt, zwar im zwei Stunden südlich entfernten Seattle. Die Fans haben sich hier im Pub getroffen, ein halbes Dutzend Bildschirme um uns herum. Dass wir das Spiel «nur» am Monitor verfolgen, scheint der Stimmung keinen Abbruch zu tun. – Begonnen hat es mit einem Besuch von Freunden aus Seattle. Bei der Ankunft verkünden sie, dass heute ein gewichtiger Termin anstehe. Das Football-Spiel zwischen den Seattle Seahawks und den Minnesota Vikings. Nun sitzen wir im prall gefüllten Pub und schauen uns den Match gemeinsam mit gegen 100 weiteren Fans an. Ich kann ein Stück Kultur miterleben, ob eine kanadische oder amerikanische ist für einmal nicht so wichtig.

Dave erklärt mir die Football-Regeln. Es geht im Grundsatz um das Erkämpfen von Raum, was mit dem Ablegen des ovalen Balls in der End Zone besiegelt wird. Quarter Back, Touchdown, Conversion, viele gewöhnungsbedürftige Begriffe. Irritierend die häufigen Spielunterbrüche. Warten scheint Teil dieses Spiels zu sein. Und als ob dem nicht genug wäre, wird das Spiel im Stadium zusätzlich unterbrochen, damit die Fernsehstationen Werbung schalten können.

Nicht minder wichtig das Essen und Trinken im Pub. Auswahl aus etwa zwanzig verschiedenen Biersorten. Chicken Wings in vier Geschmacksrichtungen werden gleich dazu serviert. Happy Hour eben. Zweite Runde Bier. Jetzt das unsägliche kanadische Poutine, Pommes Frites mit Frischkäse vermengt, darüber braune Bratensauce.

Dass der Besuch im Pub zur Kultur gehört, haben wir während unseres halbjährigen Aufenthalts in Amerikas Nordwesten sehr wohl erfahren, sei es in Kanadas British Columbia oder im Yukon oben, in Washington State, Oregon oder Nordkalifornien. Oft luden uns heimische Freunde ins Pub ein, nicht ohne sich über den Junk Food entschuldigend zu äussern. Und alle haben begierig den fetten Hamburger mit einem lokalen Pale Ale heruntergespült. Gelegentlich schreit man sich ob der lauten Musik an. Meist Country und Folk, währenddem die stumm gestellten Bildschirme Football, Baseball oder Eishockey zeigen. Viel Werbung. Der Besuch im Pub würde zum Alltag gehören, meinen unsere Freunde. Gewohnheit, ein Stück Heimat.

Nicht selten werden wir im Pub vom Nachbarn angesprochen. Woher, wohin. Wir erfahren viel über Land und Leute, gelegentlich etwas Befindlichkeit zur aktuellen politischen Lage. Nichts Tiefschürfendes, Alltag eben. Und menschliche Gesten. So Keith, der uns in einer Kleinstadt im Hinterland Oregons, der uns spontan seinen Parkplatz für unser Wohnmobil über die Nacht angeboten hat. Oder Steve, den wir in einer Bar in San Francisco angetroffen haben und uns von seiner misslichen Arbeitssituation erzählt hat (siehe Bericht in einem früheren Blogbeitrag).

In Seattle liegen die Seahawks inzwischen 21:0 in Führung. Die vier mal fünfzehn Minuten lange Spielzeit zieht sich in die Länge. Zeit für einen Chat mit den Tischnachbarn. Woodie betätigt sich als Hoffotograf und dokumentiert die neuen Freundschaften. Dave verzieht sich nach draussen auf eine Zigarette und kommt nach geraumer Zeit mit einem Selbstportrait in der Hand zurück, gezeichnet von einem Obdachlosen, eingetauscht gegen ein paar Zigaretten. Und All kommuniziert im Live Chat mit Freunden in Seattle. Die Seahawks werden vorab Sieger gefeiert. Wir winken durch All’s Smartphone den Freunden zu. Hope to see you again.

Spielstand nach 60 Minuten: 21:7 für Seattle. Der Sieg der Seahawks muss gefeiert werden. Nichts liegt näher als mit dem Besuch in einem weiteren Pub. Auch hier flimmert eine Armada von Bildschirmen von den Wänden herunter. Ein wilder Mix aus Eishockey, Baseball und Musikvideos. Und der Hunger meldet sich wieder. Diesmal Tacos. Baseball-Regeln repetiert. Über Poutine gelästert. Handynummer ausgetauscht. Es ist spät geworden. Seattle schläft für einmal in Vancouver.

Thanks to All, Dave and Woodie. Text in English (PDF).