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Der «Stern» vom 3.9.09 macht es sich einfach mit seinem aktuellen Titelfoto: Keine teuren Bildrechte musste die Redaktion hinblättern, sie hat ganz einfach knapp 1000 Bildchen von Facebook-Usern heruntergeladen und fertig ist die Titelseite. Damit macht die Bildredaktion gleich vor, was mit dem eigenen Bild auf Facebook und anderen sozialen Webdiensten passieren kann. Ob sich die 1000 Personen jetzt wohl in einer Facebook-Gruppe organisieren und eine Sammelklage vorbereiten? …
Bild: www.stern.de.

Als das «Tor zur Welt» beschreibt der «Stern» Facebook und erzählt rührige Geschichten von Freundschaften in der realen Welt, welche aufgrund von Facebook entstanden sind, und wie der Online-Dienst das Leben vieler Nutzerinnen und Nutzer verändert habe. Wir erfahren, dass Facebook inzwischen die weltweit viertgrösste Website ist (hinter Google, Microsoft und Yahoo) und im Juli hätten 7.4 Millionen Deutsche Facebook besucht (Anmerkung: In der Schweiz soll es über eine Million Facebook-Mitglied geben). Dann schlägt schlägt das Unterhaltungsblatt erstaunlich kritische Töne  an, wenn es beispielsweise von Mobbing-Fällen in Facebook erzählt, oder wenn im Artikel verglichen wird, dass Facebook bis zu 90 persönliche Angaben sammle, währenddem im Erfassungsbogen der Stasi nur deren 48 der Überwachten notiert worden seien. Eben diese Daten versucht Facebook gewinnbringend zu vermarkten. Im Artikel wird darüber gerätselt, wer diese Daten wohl kaufen könnte… Hier geht es zum Heft.

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Szenenwechsel. Vor wenigen Tagen ein Artikel in der New York Times: Unter dem Titel «Farewell Facebook» wird von enttäuschten Facebook-Mitgliedern berichtet, welche dem Online-Dienst den Rücken kehren. Und wenn man in Google mit den Stichworten «Farewell Facebook» zwischen Anführungszeichen sucht, werden über 5000 Suchergebnisse angezeigt, viele davon mit Berichten von ebensolchen früheren Facebook-Mitgliedern, die sich verabschiedet haben; Ergebnisse hier. Die Suche in Twitter mit denselben Begriffen zaubert ebenso ernüchterte Ex-User hervor; hier. Und währenddem ich diesem Blogpost den letzten Schliff gebe, macht mich ein Kollege via Skype darauf aufmerksam, dass auch Tages-Anzeiger Online heute Abend das Thema «Facebook-müde» aufgenommen hat. Spätestens wenn die Eltern den Kindern auf Facebook folgen, würden diese Reissaus nehmen… Bild: www.nytimes.com.

Selbstverständlich, werden die einen sagen, ein bekanntes Phänomen: Es gibt Google-Befürworter und solche, die vor dem aufsteigenden Web-Giganten warnen und dessen umfangreiche Webdienste à priori meiden. Und mit dem kometenhaften Aufstieg von Microsoft haben sich auch deren Gegner vermehrt. So auch beim Senkrechtstarter Facebook. Ganz so schnell soll oben beschriebener Exodus demnach nicht als Zeitungsente abgeschrieben werden, auch wenn Facebook vorerst immer noch wächst. – Meine Facebook-Freunde sind wohl keineswegs repräsentativ (zuviele jenseits der Lebensmitte…), es fällt aber auf, dass bei den meisten die neusten Facebook-Einträge viele Wochen alt sind. Darauf angesprochen, wird darauf verwiesen, dass die Kinder eben immer noch im «Real Life» erzogen werden müssten, da bliebe am Abend nicht mehr viel Zeit für das Notebook oder Smartphone.

Die wenigen Jugendlichen als «Freunde» in meiner Facebook-Mitgliedschaft beglücken mich dafür im Stundentakt mit sinnigen Statusmeldungen wie «Alex isst». Obiger Artikel im Stern weist darauf hin, dass Jugendliche nicht mehr wie die ältere Generation zwischen Online und Real Life unterscheiden würde. Dies soll nicht heissen, dass die ältere Generation viel tiefsinnigere Mitteilungen an ihre Pinnwand heftet. Wenn mir ältere Kollegen berichten, dass sie demnächst mit dem Abstauben ihrer Wohnung beginnen oder ihre Katzenbilder zeigen, so hat dies bestenfalls gewissen Unterhaltungswert. Es scheint, als ob Erwachsene in Facebook durchaus ihre kindliche Seite zu entdecken scheinen und zuweilen ganz witzige Bilder und freche Sprüche publizieren. Trotzdem scheint mir die Belanglosigkeit zu überwiegen und wenn es nichts mehr zu sagen gibt, wird zumindest die ältere Generation Real Life wiederum bevorzugen.

Facebook sei keineswegs nur ein oberflächliches Medium und es würde zumeist unterschätzt, schrieb ein Kollege letzthin in einem Facebook-Kommentar. Dass Facebook die reale Welt beeinflusst, auch bei den Erwachsenen, dies wird schnell offenbar: Kürzlich beschwerte sich eine Kollegin nach der educanet-Tagung in Bern über all die schweigenden Facebook- und Twitter-Schreiber/innen in der Pause. Früher wäre man noch zu einem gemütlichen Schwatz zusammengestanden. – Ich habe zwar nur Twitter-Einträge von fünf verschiedenen Personen gefunden. Allenfalls hat die Kollegin einfach die üblichen handybewehrten Zeitgenossen beobachtet, welche bereits vor Facebook-Zeiten jede Pause bevorzugt mit ihrem Handy verbracht haben. Zumindest ärgert man sich über fehlende Sozialkontakte in Real Life und hat gleich den Schuldigen gefunden: Facebook.

Soziale Webdienste wie Facebook, Netlog, MySpace & Co. haben eine dramatische Verschiebung der Grenze zwischen privat und öffentlich bewirkt, dies beschäftigt seit geraumer Zeit besorgte Eltern, Lehrpersonen und die Fachwelt. Davon berichtet auch das aktuelle Heft «merz – medien + erziehung» (4/2009). Entsprechende Medienbildung zu Persönlichkeitsschutz, Datensicherheit etc. ist wohl unumgänglich. So haben Kollegen Hinweise zu sicheren Facebook- und Netlog-Einstellungen auf www.medienbildung.ch/sicherheit publiziert und vielerorts werden entsprechende Medienbildungs-Initiativen gestartet, wie beispielsweise im Artikel «Mitmachen im Web 2.0. Spannungsfelder zwischen Partizipation und Datenschutz» beschrieben (merz 4/2009).

boy_and_dad_1Welches Lager wird wohl Recht erhalten: Das Heer von Facebook-Begeisterten oder die (noch) wenigen Facebook-Verächter? Man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass Facebook «irgendwann» einem neuen, «hypen» Webdienst die Krone wird abgeben müssen. Eltern und Erziehende tun wohl gut daran, die Augen nicht davor zu verschliessen, was Kinder und Jugendliche aktuell fasziniert, nicht nur punkto Medien. Und wenn die Internet Community in einigen Jahren Facebook oder Netlog vergessen hat und dafür von abacab.biz oder palapap.fun spricht, dann sollte die einmal erworbene Kompetenz im sicheren Umgang damit hoffentlich bereits angeeignet sein.
Bild: Jürg Fraefel