Einblick ins Studium an der UBC erhalte ich beim Besuch eines wöchentlichen Seminars während Wintersemesters. Ich wähle das Seminar «Inquiry I – EDUC 450». Absolventinnen und Absolventen eines Bachelor of Science erwerben einen zweiten Bachelor of Education und werden damit befähigt, als Secundary Teacher zu unterrichten. Aus der Seminarbeschreibung: «Inquiry Seminar (I) is designed to engender in teacher candidates an understanding of teaching as a moral and intellectual activity requiring inquiry, judgement and engagement with multiple others – students, parents, colleagues, scholarly community.» – Einblick in die Lehrkultur an der Faculty of Teacher Education.

Studienbeginn

Semesterstart nach dem Labour Day am 3. September. Fünfhundert Studierende des «UBC Teacher Education Programm» finden sich in der Chang Hall of Performing Arts ein. Dean Dr. Blye Frank in der Begrüssungsrede: «You followed your vision to become a teacher.» Es folgt eine Aufzählung der Ratings des Studienprogramms. Dean Frank: «We are the best Teacher Education Program.» Später werden die Instructors Sandra und Doug ihre Studierenden fragen: «How was the student orientation?» – «Boring.». Dean Frank schliesst seine Begrüssung mit einer Einladung, sich bei Fragen direkt bei ihm zu melden. Im Foyer der Faculty of Teacher Education hängt ein grosses Foto von Dean Frank mit derselben Einladung und Besuchszeiten.

Is there anything you want to share with us?

Erster Seminartag. Dr. Sandra Scott und Dr. Douglas Adler unterrichten die 35 Studierenden im Teamteaching. Sie laden mich zur wöchentlichen Teilnahme an ihrem Seminar ein. Wir sitzen im Science Room an fix montierten Gruppentischen. Um uns herum Aquarien, Chemieutensilien, technische Geräte, die Wände voll geklebt mit Periodensystem, Pflanzenbestimmungstafeln. Gasflaschen, Chemiebehälter, Schläuche. Sandra und Doug stellen sich vor. Tipps für die Studierenden wie sie ihr Studium organisieren können. Gedanken über den Lehrerberuf. «Teaching is a marathon». – «You have to like people to become a teacher.» – «This seminar won’t push your intellectual limits but your organisational skills.»

Einladung an die Studis «Is there anything you want to share with us?» – Studentin: «I want to share how to get a locker.» – Student: «I know a place where to get 3 $ Tacos.» Dann werden Ölkreide und Papier verteilt: «Craft a self portrait that explizites you and your beliefs about education an learning» Eine halbe Stunde später Austausch in Gruppen ent lang der Frage: «How do my prior knowledge and experiences inform my philosophy of education?». Als ob nichts selbstverständlicher wäre, laden mich die Studierenden zum Austausch ein. In die Rolle als Studierender zu schlüpfen ist ungewohnt und wohltuend zugleich. Später Rollenwechsel: Sandra lädt mich ein zum Teilen meiner Eindrücke («Now you are a fellow teacher.»).

What is Inquiry?

Zweiter Seminarvormittag. Die Tür zum Seminarraum steht während des ganzen Seminars weit offen. Doug: «We have nothing to hide.» Wir gehen der Frage nach: «What is Inquiry?» Am Ende des Morgens wird Sandra die Antwort in Kurzform geben: «Inquiry is the question ‚I wonder…’». Doch vorher Sammlung der individuellen Ansichten in Gruppen, dann Grundgang zu den verschiedenen Gruppenplakaten, Gruppendiskussion. Vor dem Seminartag Lektüre diverser Grundlagentexte, Mix aus Artikeln aus Lehrerzeitschriften und akademischer Publikationen im Umfang von gut fünf Stunden Lesezeit. Keine direkter Bezug auf die Texte während des Seminars. Der Kursausschreibung entnehme ich eine Definition: «Inquiry is understood as a deliberate, sustained and systematic process – beyond the every day reflection that is required in teaching – where professionals explore what they do and how they do it, and the reasons for both; it involves professionals sharing their inquiries with colleagues.»

Shape of the Day

Das Inquiry Seminar entpuppt sich als eine Art Einführung in die Lehrprofession, der Erwerb einer fragenden Grundhaltung als Lehrperson und der Erkenntnis, dass persönliches Lernen und Lehren zusammengehören und wie man als Lehrerin oder Lehrer ein lernförderliches Klima im Klassenzimmer gestalten kann. Das Lernen in der Gruppe soll erlebt und reflektiert werden, beispielsweise beim gemeinsamen Entwickeln eines «Green Plan», eines Aktionsplans, wie der Campus der UBC weiter als Lebens- und Arbeitsraum umgestaltet werden könnte, inklusive anschliessendem Lehrausgang auf dem Campus. Kurze Inputs zur Unterrichtsgestaltung, beispielsweise zur Unterrichtseinstieg mit dem «Shape of the Day», danach «Lesson Plan». Der «Shape of the Day» wird eingehend diskutiert, ein festgelegtes Ritual, welches den Unterricht auf allen Stufen prägt. Eine Studentin berichtet mir später davon, dass sie in der High School jeden Vormittag zum Schulbeginn fünfzehn bis dreissig Minuten in der «Home Base» verbracht hätten. Ankommen in der vertrauten Gruppe, bevor die sie dann in verschiedene Klassen zum Unterricht gehen..

Science in a Bag Day

Heute, sechs Wochen nach Semesterstart, ist «Science in a Bag Day». Die Studierenden erhielten den Auftrag, ein Experiment aus Chemie oder Physik zu gestalten, mit schriftlichem Auftrag, Utensilien zum Experimentieren und Lösung in separatem Kuvert. Am Seminartag davor hatten die Studis ein exemplarisches Experiment erlebt, zwischen den Seminartagen umfangreiche Lektüre zu Konstruktivismus, entdeckendem Lernen etc: «Children’s Ideas and a Constructivist View of Learning» (PDF).

Nach dem vertrauten Tageseinstieg «Is there anything you want to share with us?» werden die Experimente auf den Tischen ausgebreitet. Sie müssen in einem Plastikbeutel Platz haben und selbsterklärend dokumentiert sein. Plätze gewechselt, Experimente reihum erprobt. Dann Rückmeldung nach dem Prinzip «Two Stars and a Wish» – Was ich toll fand, was ich mir gewünscht hätte. Im Anschluss engagierte Diskussion über die didaktische Gestaltung der Experimente und ihre Integration in einen Lektionsverlauf. In der Woche darauf sollen die Studierenden das Experiment schriftlich auswerten und einreichen; eines von drei benoteten Assessments. – In der Pause Gespräch mit den Studis über ihr Studium. Das herannahende Praktikum drückt. Ebenfalls der volle Stundenplan, unter anderem zwei weitere Seminare zu allgemeiner Pädagogik und Fachdidaktik.

Studieren auf dem UBC Campus

Das Studium dieser Kohorte scheint fest mit dem Campus verbunden zu sein. Voller Stundenplan, mehrheitlich Präsenzveranstaltungen. Umfangreiche Literatursammlung in offenem Dropbox-Ordner (nicht auf Canvas, dem offiziellen LMS der UBC), eher als Hintergrundinformation verstanden. Überhaupt, das Studieren auf dem Campus ist wichtig. Man wolle die Studierenden auf dem Campus haben, so Jeff Miller, meinem Ansprechpartner des Centre for Teaching, Learning and Technology. Seit letztem Jahr hätten sie auf dem Campus ein riesiges Studierenden Zentrum, dem Student Nest, einem gemeinsam mit den Lernenden entwickelten Zentrum der Studierenden. Der Campus sei ausgerüstet mit Tausenden von Selbstlernumgebungen, sei es im Irving K. Barber Learning Centre, in einzelnen Fakultätsgebäuden oder in einem der vielen Coffee Shops auf dem Campus. Und auf dem Campus würden zurzeit Zimmer für 1300 weitere Studierende gebaut. – Nicht alle Mitarbeitenden der UBC finden die Entwicklung gut. Der Campus sei übernutzt, meinen die einen, Blended Learning- und Selbstkern-Angebote seien vernachlässigt, die anderen. Doch dies ist eine andere Geschichte.

Kurzexkursion auf dem Campusareal. Hier stand noch vor fünfzig Jahren ein Regenwald.

Das Student Nest. Zentrum der Studierenden. Rechts: Baustelle für neue Studierenden-Unterkünfte.

Öffentliche Mensa. Sichere Veloparkplätze sind Mangelware.

Dutzende Coffee Shops auf dem Campus.

Engagierte Studierende.