Kürzlich bin ich im Tages-Anzeiger-Magazin auf ein Interview mit Tyler Brûlé gestossen. Tyler, befragt über seine Meinung zum Design des Magazins: «Verbieten Sie den Fotografen Digitalkameras. Digitale Fotografie gehört nicht in Magazine mit einem so guten Rufe wie dem Ihren. Die Farben stimmen nicht, alles wirkt kalt und distanziert.» – Der Stardesigner will also digital erstellte Fotografien von analogen unterscheiden können? Ich bin skeptisch. Ist sein Urteil nicht reine Sentimentalität? Ähnlich derjenigen vor 15 Jahren, als Liebhaber von Vinyl-Schallplatten der Audio-CD den gewohnt «warmen Klang» absprachen. Tyler Brûlé, der Schöpfer des Corporate Designs der neuen Schweizer Fluggesellschaft SWISS und anderer edler Marken wird’s wohl wissen… ich bin skeptisch.
Soeben habe ich eine neue digitale Spiegelreflexkamera erstanden. Ich erwarte umfassende Farbtiefe, naturgetreue Farben und die Wiedergabe feinster Strukturen. Aber Tylers niederschmetterndes Urteil lässt mich nicht los. Am Samstag zog ich los zum Fotografieren. In meiner grossen Fototasche hatte ich sie beide: Die neue Digitalkamera mit allen Schikanen und meine 25 Jahre alte Nikon FE2. Fotografieren an einem Live-Jazzkonzert; spannende bewegte Momente, erregte Gesichter auf der Bühne und davor. Ich fotografiere, sehe mir die Aufnahmen umgehend auf dem kleinen Bildschirm an, korrigiere nochmals – und ich lerne innerhalb zwei Stunden eine Menge über meine neue Kamera. Dann das ruhige Unplugged-Konzert am Rapperswiler Seeufer. Hier passt meine alte Analogkamera hin. Und ich fühle mich mit meiner halbautomatischen Kamera gleich wieder wie zu Hause, die Einfachheit und Klarheit des Apparats fasziniert mich. Mit dem taghellem Sucher ist die Bildgestaltung reine Freude: Schärfentiefe wählen, scharf stellen, abdrücken. Dieses altvertraute metallische Geräusch des Auslösers, dann der sägende Ton des manuellen Filmtransports. Und nun das beste: Ich muss die Bilder nicht gleich ansehen – kann gar nicht. Dafür darf ich mir die Bilder vorstellen, darf darauf warten, bis der Film entwickelt ist. Die Digitalkamera bestraft mich unmittelbar nach der Fotoaufnahme mit dem oft ernüchternden Resultat. Diesen Verlust zu lamentieren ist doch viel schöner als zu wenig warme Farben, oder?
> Vergleich Digital–Analog
> Erfahrungsbericht Kameratest; aussagekräftiger als die übliche Punkteolympiade
> Jazzfestival Rapperswil