Auffahrt: ein paar Tage frei; Zeit, um die gestapelten Fachzeitschriften und der Tageszeitung entnommene Artikel in Ruhe zu studieren. Darunter die Bildungsbeilage der NZZ vom 21. April 2008: Allan Guggenbühls Artikel «Weiterbildung als Mogelpackung». Der Lead verpasst seine Wirkung nicht und weckt meine Aufmerksamkeit: Ein Experte für Burnout zitiert vor versammelter Lehrerschaft massenhaft wissenschaftliche Studien – und provoziert prompt den Einwand einer Zuhörerin, ob er selbst überhaupt Kontakt mit Burnout-Kranken habe. Seine Ausführungen sind ihr offensichtlich zu weit von der beruflichen Praxis entfernt.

Darauf breitet Guggenbühl das Malaise der professionellen Weiterbildner aus: ihre Praxisferne und die einseitige Abstützung auf wissenschaftliche Theorien und Studien. Es ginge im aktuellen Weiterbildungstrend mehr darum, sich ein aktuelles Vokabular anzueignen sowie um das Erlangen eines Abschlusses. Die Teilnehmenden hätten sich eh arrangiert und würden ihre persönliche berufliche Praxis ausblenden. Resultieren würde im Grund genommen keine Veränderung im praktischen Handeln, weil eben Bezüge zur Praxis fehlen würden. Guggenbühl rät: «Die konkreten Erfahrungen und Handlungstheorien der Kundschaft sollen Ausgangspunkt der Weiterbildung sein.» Das intuitive Wissen, worauf das Handeln in der Praxis basiere, müsse «herausgespürt, reflektiert und kritisch hinterfragt werden».

Ich vergleiche mit meiner eigenen Praxis als Weiterbildner: Vorwissen (intuitive Theorien) abholen; anreichern mit Handlungsalternativen und theoretischem Hintergrundwissen; vergleichen lassen mit der eigenen beruflichen Realität; Schritte zur Umsetzung in der Praxis selbst entwerfen. Dies kommt den Vorschlägen von Guggenbühl wohl recht nahe – und es entspricht einem konstruktivistischen Lernverständnis (Vorwissen abholen, eigentätige Auseinandersetzung, Reflexion u.a.).
Ich will Guggenbühls Artikel als pauschale Beschuldigung der professionellen Weiterbildner abtun, ärgere mich etwas über den reisserischen Lead, denn theorieversessene Kursleitende gab es schon immer… – Aber finde ich nicht doch ein klein wenig mich selbst in dieser Beschreibung? Ich decke die Teilnehmenden meiner Weiterbildungen vielleicht manchmal ebenso vorschnell mit (hoffentlich nützlichen) Modellen und Konzepten ein, bin auf wissenschaftliche Fundierung bedacht. Ob es wohl doch so ist, dass ich mich nach fünfzehn Jahren Arbeit in der schulischen Praxis heute in der Theorie wohler fühle? Habe ich die Geduld und gebe ich den notwendigen Raum, die Teilnehmenden aus ihrer beruflichen Praxis erzählen zu lassen? Oder beharre ich auf einem planbaren Ablauf meiner Weiterbildungen? Es liegt auf der Hand, dass mir heute der Einblick in die berufliche Praxis fehlt. Da will ich doch dieses «Fenster zur Praxis» nutzen, welches mir die Teilnehmenden bieten. Damit würden wir beide ein Stück weit zu Lernenden.

Guggenbühl hätte dem zitierten Experten für Burnout geraten, mit einem erschöpften Lehrer selbst zu sprechen. Parallele zu mir: Ich bin daran, einen Fachartikel über Wissensmanagement in Schulteams zu verfassen. Ich kann auf meine berufliche Praxis als Schulleiter und auf wissenschaftliches Hintergrundwissen sowie auf meine Beratungstätigkeit im Schulfeld zurückgreifen. Reicht das? Ich nehme mir vor, mindestens zwei Schulleitern zur Thematik ein ausgedehntes Gespräch zu führen und werde sie bitten, meine Modelle zu kommentieren. Merci, Allan Guggenbühl. Und Sie; wie bleiben Sie «dran» an der beruflichen Praxis?

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